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Ein langer Weg... (Freies Wort)

Unter dem Motto "Der Wald ruft" verbrachten die Kinder des Christlichen Kindergartens "St. Martin" spannende Tage mitten im Wald bei Roda.

Ilmenau - "Schau mal, wie schnell mein Schiffchen schwimmen kann!", ruft Roya und beobachtet ihr hellblaues Boot, wie es die hölzerne Wasserrinne an der Viehtränke oberhalb Rodas hinuntergleitet. "Komm, wir lassen unsere Boote um die Wette fahren", ruft ein anderes Mädchen. Und schon war ein kleiner Wettbewerb im Gange. Die neun Kinder, die in den vergangenen drei Tagen den Wald hautnah erlebten, scheinen die Zeit vergessen zu haben. "Es ist toll, die Kinder so zu erleben, im Spiel vertieft,völlig eins mit sich und der Natur", sagt die Kindergartenleiterin Claudia-Maria Maruschke glücklich. Denn es war ein langer Weg bis dahin. Bis vor rund zweieinhalb Jahren sind die Kinder überhaupt nicht aus ihrem Kindergarten in der Naumannstraße rausgegangen. "Wir haben ein großes Grundstück, dort können die Jungen und Mädchen nach Herzenslust spielen und toben", erzählt die Leiterin des Kindergartens. Diese sichere Umgebung des Kindergartens wollte man nicht verlassen. Das mutet ein wenig fremd an. Sie klärt auf: "Wir, meine Kolleginnen und ich, hatten große Bedenken, dass den Kindern etwas passieren könnte und wir dafür belangt werden, weil wir unserer Aufsichtspflicht nicht in genügendem Maße nachgekommen sind, erzählt sie weiter. Ihrer Ansicht nach sei nicht eindeutig definiert, wie weit Aufsichtspflicht reicht. "Wir hatten schon irgendwie das Gefühl, mit einem Bein im Gefängnis zu stehen oder unseren Job zu verlieren. Außerdem glaubten wir, die Kinder nicht recht im Zaum halten zu können, wenn wir außerhalb des Kindergartens mit ihnen unterwegs sind."

Gemeinsam mit den Eltern überlegten die Erzieherinnen schließlich, wie sie es bewerkstelligen könnten, dass die Kinder auch andere Eindrücke erfahren. Zunächst gingen sie mit den Steppkes im Stadtpark spazieren und merkten, dass es wider Erwarten gut funktionierte, später ging es weiter in Richtung Manebach zur Preller-Promenade. Hier toben sich die Jungen und Mädchen nun einmal in der Woche so richtig aus. Sie erkunden die Natur, kreieren kleine Kunstwerke mit Material, das sie in der Natur finden. "Wir waren glücklich, die Kinder waren glücklich, jetzt gibt es bei uns einen festen Tag in der Woche, wo es raus geht in die Natur, egal bei welchem Wetter", so Maruschke weiter. Klar, habe man auch den Eltern erst einmal verständlich machen müssen, dass ihre Sprösslinge für diesen Tag im Freien entsprechende Kleidung, wie Gummistiefel, Matschhose und dergleichen benötigen. "Heute lachen wir über diese Anfänge."

Im Spätherbst ändert sich das Raus-Geh-Programm. Dann nämlich bestimmen die Kinder mit, was sie gern erleben und kennenlernen möchten - sei es die Post, der Zahnarzt, die Feuerwehr. Es geht auch mal ins Kino, zur Fischtreppe oder zum Einkaufen, und wenn Schnee liegt, natürlich auch zum Rodeln.

Und nun die Waldtage als Höhepunkt eines langen Weges raus in die Natur, auf dem beide Seiten viel dazu gelernt haben - die Kinder entdecken ihre Umwelt mit all ihrer Vielfalt und die Erzieherinnen haben gelernt, dass sie die Jungen und Mädchen auch loslassen und auf Entdeckungsreise gehen lassen können. "Wir sind immer in ihrer Nähe, aber wir lassen sie selbst entscheiden, was und womit sie hier im Wald spielen möchten", erzählt Claudia-Maria Maruschke. Natürlich habe man die Kinder zuvor auch auf mögliche Gefahren hingewiesen, die es im Wald nun mal gibt, wie giftige Pflanzen, Beeren oder Pilze. "Die Kinder wissen, dass sie nichts in den Mund stecken dürfen."

 

Außerdem habe man sich im Vorfeld genau überlegt, welche Utensilien in den Wald mitgenommen werden, wie Eimerchen, Schaufeln, Sieb, Hammer, Zange, Nägel, Strick und Seile. Auch Papier zum Schiffchenbauen durfte nicht fehlen. Die Seile wurden zu einer Slackline gespannt. Die Kinder bauten aus aufgeschichteten Zweigen und Iso-Matte ein Waldsofa. Sie bestimmten Pflanzen, Tiere und Pilze des Waldes anhand von Büchern. Sie wissen nun schon, dass man zum Beispiel den Pantherpilz auf keinen Fall essen darf, dass der Fingerhut zwar wunderschön aussieht, aber giftig ist und vieles mehr. Und sie erfuhren, dass es gar nicht so schlimm ist, wenn man mal auf die Nase fällt.

Zu den Mahlzeiten ließen sich die Steppkes die liebevoll gepackten Lunch-Pakete schmecken. Und das Beste an den Waldtagen war, dass der Mittagsschlaf ausfiel.

Der sechsjährigen Roya haben die Tage mitten im Wald sehr gut gefallen. "Ich finde es schön und würde das gerne mal wieder machen", erzählt sie. Das Beste sei das Wasser, mit dem man so schön spielen könne, und das Seil zum Balancieren. "Aber wir müssen schön aufpassen und dürfen keine Pflanzen essen", weiß das Mädchen. Die kleine Johanna "kocht" ein paar Meter weiter mit Hingabe Tee in ihren Eimerchen. "Das wird ein Kräutertee", erklärt sie ernst und pflückt etwas Grünzeug hinein.

Derzeit besuchen 56 Jungen und Mädchen den Christlichen Kindergarten "St. Martin" in Ilmenau. Eine erste Gruppe sammelte bereits vor einer Woche ähnliche Erfahrungen bei den Waldtagen, die es nun öfter geben wird, geht es nach den Eltern und der Kita-Chefin.

Gestern Abend waren alle Eltern und Kinder zu einer abschließenden Elternversammlung mit Übernachtung an der Viehtränke eingeladen. Nachdem die Matten ausgepackt waren, machten sie sich mit ihren Kindern in den Wald auf, ließen sich Fingerhut, Storchenschnabel und Blutweiderich zeigen, malten Bilder und bauten Schiffe. "Großartig. Die Kinder sind total begeistert und auch wir wollten diese Erfahrung sammeln", bestärkte Yvonne Binhack vom Elternbeirat die Idee der Waldtage und sammelte mit weiteren Vätern und Müttern Anregungen für das nächste Mal. "Wir sind mit den Kindern gewachsen", ist Maruschke am Ende zuversichtlich und sichtlich stolz auf das Erreichte.

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